Die Lenau-Familie hat sich versammelt
Als Oldboy am Tortenbüfett/ Splitter vom Lenautreffen 2017 in Adelsried
Wem soll man zuhören? Wem soll man glauben? Die Erinnerungen überschlagen sich, und manche variieren. Schließlich klinkt Christl Kuchar sich ein, bis 1966 Schülerin in der Josefstädter Abteilung, von 1982 bis 1990 Englischlehrerin am „Lenau". Sie hat oft an Begegnungen teilgenommen und weiß, was sie sagt – magistra dixit.
Wir befinden uns in Adelsried nahe Augsburg, im Parkhotel Schmid, das sechste allgemeine Treffen von Absolventen der Temeswarer Nikolaus-Lenau-Schule ist in Gang. Begonnen hat es um 14.00 Uhr, eine ungewöhnlich frühe Stunde, um die man schon Hunger verspürt. Als Gastgeber tritt, wie gehabt, der Vorstand des Vereins „Freunde der Lenauschule" in Erscheinung. Dessen Chef, Prof. Dr.-Ing. Franz Quint, ein gebürtiger Hatzfelder, nahm die Ankömmlinge persönlich in Empfang. Währenddessen sah die Nephrologin Dr. Hella Gerber, die aus Nitzkydorf stammt, am Tortenbüffet nach dem Rechten. Außer drei Blechen mit Kremschnitten, die im Banat Krempitte heißen, und der unverzichtbaren Dobosch-Torte ließen noch zehn Arten Torte das Wasser im Munde zusammenlaufen.
10.000 Bücher gespendet
Nach und nach sind rund 200 Absolventen eingetrudelt, einige mit ihren Ehegatten, die mittlerweile auch zur Lenau-Familie gehören. Die meisten kommen aus Deutschland. Aus Temeswar ist die Direktorin der Lenau-Schule, Helene Wolf, mit ihren Kolleginnen Astrid Otiman und Andreea Goţa angereist. Schließlich sind zwanzig Absolventenjahrgänge vertreten, am besten der Jahrgang 1983, dem auch Franz Quint und Helene Wolf angehören.
Der Verein besteht seit dem Jahre 2008, als die Mitglieder des Absolventenjahrgangs 1983 zu ihrem 25-jährigen Treffen in Temeswar zusammenkamen. Damals wurde die Idee geboren, der traditionsreichen Lehranstalt materiell und bei Schüleraustauschen zu helfen. Seither hat sich viel getan, sehr viel: Klassenzimmer und Toiletten wurden renoviert, die Schule mit Computern, Beamern, mit einer Audioanlage, mit Kopierern, Druckern, und anderen technischen Geräten ausgestattet. Mehr als zehntausend Bücher, sowohl Lehrbücher als auch Belletristik, nahmen den Weg nach Temeswar. Im Juli dieses Jahres gelangten 550 von der Europa-Schule Karlsruhe ausgemusterte, aber noch gut brauchbare Schülerschränke in die Gheorghe-Lazăr-Gasse. Außerdem konnte der Verein zwei verlockende Preise ausschreiben: den Elsa-Lucia-Kappler-Preis, der im Rahmen von Deutsch-Wettbewerben verliehen wird, und den Carmen-und-Jakob-Walbert-Preis, der für hervorragende Leistungen im naturwissenschaftlichen Bereich vergeben wird.
Die Idee der allgemeinen Absolvententreffen ging ebenfalls vom Verein aus.
Zur Zeit schmort das Projekt eines Buchs in der Pfanne, in dem die Geschichte der Lenauschule ab 1948 dargestellt werden soll. Bis 2020 soll es vorliegen, nämlich zum 150-jährigen Jubiläum der Temeswarer Oberrealschule, die vormals im selben Gebäude residierte.
Bisher hat einzig und allein der Absolventenjahrgang 1957 ein Buch herausgebracht, das wurde 2010 veröffentlicht. Jener Jahrgang umfasste 146 Schüler von der Tagesabteilung, 40 von der Abendabteilung und 16 Privatschüler. Der eine Herausgeber, Dr. Cornell Frank, hat später an der New Yorker Universität in Philosophie promoviert, noch später hat er dort als Professor für Computerwissenschaften unterrichtet.
Ein Netzwerk über Generationen
Senior unter den Gästen in Adelsried ist Prof. Dr. Günter Kappler, Jahrgang 1956, berühmt als „deutscher Triebwerkspapst". Sein Geständnis: „Ich hatte Erfolg im Leben, weil ich so hervorragende Lehrer hatte." Dr. Kappler war es, der zum Gedenken an seine Mutter, vormals Deutschlehrerin, den nach ihr benannten Preis stiftete. Übrigens hat seine Mutter in den 1920er Jahren die Vorgängerschule unseres Lyzeums besucht, das Deutsche Staatsgymnasium. Und, schau: Tatsächlich ist auch ein Kerl aus meiner Klasse da, der Riese Michael Koppi, vormals Kugelstoßer und Handballspieler, seit vielen Jahren gut beleumdet als rühriger Vorsitzender der HOG Sackelhausen. Ich entdecke ihn am Tortenbüfett.
Wie zu erwarten war, überwiegen die jüngeren Jahrgänge. Ich begegne Schülern meiner Schwester Rosl Fink. An einem Tisch sitzt Herr Adrian Grozdan, in den achtziger Jahren Hausmeister und Laborant der Lenau-Schule, verheiratet mit Sigrid Tornatzky, Absolventenjahrgang 1980. An einem anderen Tisch sitzt Herr Valentin Kottler, ein Sohn von Peter Kottler, der Jahrgangskollege von Dr. Kappler war und mir noch als Mitschüler in Erinnerung ist. Peter Kottler (1939-2013) wirkte als Dozent am Germanistik-Katheder der Universität Temeswar und redigierte dort das „Wörterbuch der Banater deutschen Mundarten". Das Erscheinen des ersten Bandes (Buchstaben A-C) durfte er noch erleben. Valentin Kottler absolvierte die Lenau-Schule 1985, hat Mitte der 1990er Jahre in Paris seinen Doktor in Physik gemacht und arbeitet heute bei Bosch in Reutlingen in der Halbleiterfertigung.
Im Laufe des Nachmittags ergibt sich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Herrn Quint. Der Professor für Elektro- und Informationstechnik an der Hochschule Karlsruhe ist ein Tausendsassa. In seiner Eigenschaft als Lehrstuhlinhaber hat er die Partnerschaft mit dem Temeswarer Polytechnischen Institut angestoßen, er leitet das Austauschprogramm, deshalb hält er sich von Zeit zu Zeit in Temeswar auf. Und als ob ihm Lehrbetrieb und Partnerschaft nicht reichen würden, hat er auch den Vorsitz des Vereins übernommen. Nebenbei formatiert er das Seitenlayout für das „Heimatblatt Hatzfeld" wie auch für den Sammelband der banatschwäbischen Kulturtagungen in Sindelfingen.
Auch mit Direktorin Helene Wolf kann ich mich unterhalten. Sie hat sich am Mikrophon für die Unterstützung aus Deutschland bedankt und kurz über die Einrichtung der Laboratorien berichtet, für die die Stadtverwaltung 100.000 Euro zur Verfügung stellte. Frau Wolf will anschließend nach München reisen, zu einer Tagung im „Haus des Deutschen Ostens", bei der die siebenbürgisch-sächsische Schulgeschichte im Vordergrund steht. Dort soll sie einen Vortrag über die Lage der deutschen Schulen in Rumänien halten.
Dann spricht mich Frau Monica Sere an, auch Absolventenjahrgang 1983, aus Temeswar angereist, wo sie ein Reisebüro betreibt. Sie will sich bei mir bedanken ... ja, bedanken. Monica ist im Grundberuf Chemielehrerin, sie hat am „Lenau" unterrichtet. Als nach der Wende 1989 das Fach Logik für die IX. und die X. Klasse eingeführt wurde, sollte sie zusätzlich dieses Fach übernehmen, leider fand sich keine geeignete Bibliografie. Da machte eine Schülerin sie auf das von mir verfasste Büchlein über die Grundbegriffe des logischen Denkens aufmerksam, auf den „Honigfaden der Logik", der 1989 im Kriterion-Verlag erschienen war. Der „Honigfaden" hat sie gerettet.
Hans Fink
Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, 23.11.2017