Verein der Freunde der Lenauschule

Projekt: Bin hinauf bis nach Temeswar
Gekommen, mit dem Bagagewagen,

berichtet die Marketenderin im fünften Auftritt, geht aber dann nicht weiter auf die Sehenswürdigkeiten ein, da Wallensteins Lager bestimmt kein Interesse gezeigt hätte, beispielsweise für das Renaissance-Schloss oder die mittelalterliche Burg. Sicherlich hatte die Marketenderin wenig Kulturelles im Gepäck, was der Kapuziner im achten Auftritt heftig kritisiert. Die Route des Bagagewagens inspirierte höchstwahrscheinlich das Temeswarer Theatergebäude, in das die „Lenauschule“ später einzieht.

Im neuen Theater, erbaut von den Wiener Architekten Helmer und Fellner, wird in den drei Sprachen Rumänisch, Deutsch und Ungarisch gespielt, Schiller ist oft auf dem Spielplan. Im Moment werden  Herta Müllers „Niederungen“ dargeboten, die Inszenierungen kommen hinauf bis in deutsche Städte. Schillers „Wallenstein“ hingegen wurde zur Schulzeit Herta Müllers in der zehnten Klasse unterrichtet.

Lehrerzimmer-Möbel von der Richard-Müller-Schule FuldaNachdem der erste Transport mit Tischen, Bänken, Stühlen und Lehrbüchern im Winter 2010 sehr gut angekommen ist, beschloss die Schulleiterin der Richard-Müller-Schule, Frau Hümmler-Hille, das Mobiliar des Lehrerzimmers, sobald es ersetzt wird, fuldischen Schulen sowie der Lenauschule anzubieten. Bei dieser Gelegenheit sollte  Herrn Brandners Sammlung gut erhaltener Schulbücher, die durch letzte Auflagen ersetzt wurden, ebenfalls gespendet werden. Auch diesmal gelang es den Schulleitungen der beiden Schulen, die  nötigen Mittel und Wege für das Gelingen des Projekts zu finden. „Mit Kulanz“ fuhr am 13. Juni die Spedition „Dunca“ auf ihrem Weg nach „Timişoara“ (rumänisch für: „Temeswar“) bei der Richard-Müller-Schule vorbei und holte das bereit gestellte Kulturgut ab.

Frau Astrid Otiman, die stellvertretende Schulleiterin der Lenauschule schreibt nun, zum Abschluss dieses Projekts: „Herzlichen Dank für die noch so gut erhaltenen Möbel und die vielen Bücherkisten. Wir haben uns über alles sehr gefreut. Die Möbel kommen gerade Recht, denn ab September werden wir ein 4. Gebäude bekommen - und dort brauchen wir Möbel für das neue Lehrerzimmer. Auch mit den Büchern freuen wir uns sehr, da noch gut brauchbare Klassensätze darunter sind, die wir bestimmt im Unterricht einsetzen werden. Also nochmals vielen Dank an die Leitung der Schule, an  Deine Einsatzbereitschaft und die Schüler, die alles aufgeladen haben. Unsere Schüler waren auch fleißig, wie es die Bilder beweisen.“

Eigentlich fließt die Bega durch Temeswar, doch in den Zeiten, als der Namen geprägt wurde, herrschte dort Sumpf und Durcheinander. Die Bega wurde  nach ihrer Kanalisation sogar praktisch und schiffbar, sie kann aber auch  als metaphorischer Fluss betrachtet werden: denn sie fließt durch Nikolaus Lenaus Weltschmerz, durch Otto Alschers Utopien und durch Herta Müllers Erinnerung an die reale Drohung der Securitate, sie im Fluss zu ertränken. Die Bega kann auch als freiheitsliebender Fluss interpretiert werden. Als am 15. Dezember 1989 die Revolution gegen die Diktatur Ceausescus in Temeswar ausbrach, versammelten sich Menschenmengen vor der ungarischen reformierten Kirche, da der Pfarrer verhaftet werden sollte. Der Wasserwerfer, der gegen die solidarisch Verbundenen eingesetzt werden sollte, wurde mit praktischem Sinn von einer Gruppe rumänischer Baptisten in der Bega entsorgt.

Die Marketenderin hat damals keinen Glaubenskrieg beobachtet. Die imposantesten Kirchen der Stadt sprechen auch weiterhin von Toleranz: die beiden Jugendstil-Synagogen, zwei orthodoxe Kathedralen, eine serbische und eine rumänische, der barocke katholische Dom mit der benachbarten evangelischen Kirche in einem Baukomplex. Das größte Heiligtum eines Temeswarers ist jedoch sein Nachbar, denn dort klopft man um Hilfe an. Als die deutschen Männer zwischen 16-45 Jahren und die deutschen Frauen zwischen 18- 40 im Januar 1945 nach Russland zur Zwangsarbeit deportiert wurden, versteckten sich so manche und so mancher bei jüdischen, rumänischen oder ungarischen Familien. Die Helfenden gingen das Risiko ein, ebenfalls aus dem eigenen Haus „ausgehoben“ und in einem Viehwaggon in eine elende Zukunft gebracht zu werden.

Multikulturelles Denken hielt dem Nationalismus der jeweiligen Macht-Ideologie stand. Über die „trialogischen Wurzeln" dieser Schule gibt eine Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum 1970 Auskunft: „Als Ergebnis der Verhandlungen wird aufgrund  des Vertrages vom 23. April 1870, zwischen dem Ministerium für Kultur und Öffentlichkeit einerseits und der Stadtleitung Temesvar andererseits, die Gründung der Oberrealschule beschlossen und anschließend ein Vorbereitungskurs und eiBeim Ausladen der Möbelne Lehrlingsschule ins Leben gerufen.[…] Im Oktober des Jahres 1870 wird die Realschule mit der Benennung ‚Königlich-ungarische Staatsoberrealschule’ ( a temesvári magyar. Kir. Állami förealiskola) mit einer I. und IV. Klasse eröffnet. In die I. Klasse wurden Schüler im Alter von zehn Jahren aufgenommen, die vier Volksschulklassen beendet haben, während in die IV. Realschulklasse Absolventen von vier Gymnasialklassen oder drei Realschulklassen zugelassen wurden. […] Anfangs war die Unterrichtssprache ungarisch, es wurden aber auch Erläuterungen in deutscher Sprache gegeben, da die Schüler die ungarische Sprache nicht allzu gut beherrschten. […] im ehemaligen Theatergebäude hat Franz Liszt konzertiert, Johann-Strauß Sohn dirigiert  und der große Dichter Eminescu war in diesem Gebäude als Souffleur zu Gast. […] Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Temeswar nur ungarische Mittelschulen. Nach der Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien wurde im Jahre 1919 Deutsch als Unterrichtssprache eingeführt. […] Am 1. September 1948 wird das Deutsche Lyzeum neu gegründet. […] In den letzten fünf Jahren wurde der Anschaffung von modernen Lehrmitteln eine besondere Aufmerksamkeit zugewendet. Die Schule verfügt über zwei Tonbandgeräte, vier Plattenspieler, einen Kinoapparat und drei Projektionsapparate für Diafilme.“

Was die Autoren der Festschrift wussten, jedoch verschwiegen, das war der westdeutsche Traum dieser Schule. Hier wurde nach der „Bravo“ gesungen und gefeiert. 1989, nachdem Ceausescu gestürzt wurde, waren die Grenzen offen und die deutschen Temeswarer konnten ihren Traum in die Wirklichkeit der Ausreise umsetzen. Über den Abschied von den rumänischen Schülern, die hier mitgeträumt haben, berichtet Herta Müller in dem Essayband „Hunger und Seide“. Dieser Auszug wurde ein wesentlicher Impuls für das etwinning-Projekt der Richard-Müller-Schule und der Lenauschule  „Der farendt Schüler im Schlafwagen“. Die Nobelpreisträgerin genehmigte  die Veröffentlichung auf der e-twinning Plattform sowie auf www.Verlag 20.de. Der Abschied war rührend, das Versprechen den Kontakt nicht abzubrechen, ernst gemeint, Beispiele hierzu finden Sie auf den Vereins-Homepages dokumentiert: www.lenauschule.eu,  www.Hog-TM.de  

Zu Schillers Zeiten wanderten deutsche Siedler in das Banat ein. „Wenn das Herz zum Herzen spricht, ist das Wort nicht von Gewicht“, mit diesem Zitat Lenaus begann Prof. Dr. Lamoth seine Festrede. In den Pausen der Lenauschule erklang oft ein Kauderwelsch der Sprachen dieser Stadt, doch bis zum Schluss beherrschte jeder Schüler seine Mutter- sowie die Landessprache auf dem Niveau des Bacalaureats / Abiturs. 

Möbel im Flur„Wieso finden deutsche Schulbücher in einer rumänischen Schule Verwendung?“, fragte die 11c, die bei dem Verladen mithalf. Darauf antwortet Franz Quint, der als Vorsitzender des Vereins Freunde der Lenauschule beide „Kulturlieferungen“ unterstützend begleitet. „Die Vorbereitung des Abiturs erfolgt im Lyzeum-Nikolaus-Lenau nach dem Lehrplan von NRW, denn das Bundesverwaltungsamt, welches für die Auslandsschulen zuständig ist, sitzt in Köln. Man ist froh, überhaupt deutsche Lehrbücher zu haben. Diese können auch für die Schüler
eingesetzt werden, welche nach rumänischem Lehrplan arbeiten. Es sind einfach Arbeitsmaterialien und die Wissenschaft ist ja keine andere, höchstens die Reihenfolge und Tiefe, in der die Themen angesprochen werden, kann unterschiedlich sein.
An der Lenauschule gibt es in jedem Jahr jeweils eine Klasse (früher waren es zwei), welche das Abitur nach deutschem Recht ablegt. Diese sind in der sogenannten "Spezialabteilung" (das ist der offizielle, auch bundesdeutsche Name) zusammengefasst. Die Schüleranzahl je Klasse
schwankt zwischen 20 und 30. Viele der Absolventen studieren danach in Deutschland oder in Österreich und haben dank des deutschen Abiturs ungehinderten Zugang zum Studium. Sie sind erfahrungsgemäß bestens vorbereitet“.

Abschließend gilt es, allen an diesem Projekt Beteiligten zu danken. Ein besonderer Dank gilt den Schulleitungen der beiden Schulen, die die kulturellen Kontakte zwischen der Richard-Müller-Schule in Fulda und dem Lyzeum-Nikolaus- Lenau in Temeswar herstellten und weiterhin ausbauen. 

Helga Korodi



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